Bitte nicht streiten! Denn das sorgt für Unmut, führt zu Verletzungen, bringt Spaltung und am Ende hat niemand was gewonnen. So zumindest denkt jener Teil in mir, der auf Harmonie aus ist. Manch einer würde sogar von Harmoniesucht sprechen. Dieser harmoniesüchtige Teil in mir rechnet eigentlich nur mit zwei Zuständen: Entweder stimmen alle völlig miteinander überein. Oder man geht im Streit auseinander.
Dabei weiß ich: Streit ist ein Zeichen für Lebendigkeit. Wer streitet, der will etwas, steht für die eigenen Bedürfnisse und Gedanken ein oder leiht denen eine Stimme, die sonst niemand hören würde. Deshalb: Bitte ruhig auch mal streiten! Aber wie kann das gut gehen? An die tief zerstrittene Gemeinde in Korinth schreibt Paulus: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (1. Korinther 16,14).
Manch einen mag das überraschen, schließlich sind viele der Ansicht, dass Christen nicht streiten und in aller Regel sowieso einer Meinung sind: Sie wählen politisch links der Mitte. Verschmähen Autos. Setzen sich ohne Wenn und Aber für zivile Seenotrettung ein. Sind sich einig, wie biblische Texte zu verstehen sind. Mögen die Lieder aus dem Evangelischen Gesangbuch. Natürlich ist das überspitzt, aber dieses Bild schwingt mit, wenn die Rede von DER Kirche ist, so als seien sich alle einig. Die Erfahrung zeigt dagegen, dass Christinnen in der Gestaltung des Lebens, Gemeindefragen und politischen Ansichten selbstverständlich verschiedene, manchmal sogar gegensätzliche Ansichten vertreten – und das, obwohl sie sich bei ihren Positionen auf ihren Glauben, Gott und biblische Texte berufen. Wer auf Harmonie aus ist, der nimmt diese Unterschiede zwar zur Kenntnis, geht aber stillschweigend über sie hinweg. Andere merken gar nicht, dass nicht alle einer Meinung sind. Automatisch beieinander bleibt man dadurch aber dennoch nicht. Wäre es da nicht doch besser, miteinander zu streiten, wenn Differenzen wahrgenommen werden oder man die Notwendigkeit, zu handeln, sieht?
„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ In Liebe streiten – wie soll das gehen? Vielleicht kann es ein erster Schritt sein, den Gedanken zu wagen, dass ich mich in meiner Position irren könnte. Das klingt zunächst abwegig, denn grundsätzlich habe ich immer Recht. Aber könnte es doch sein, dass auch etwas für die Position meines Gegenübers spricht? In Liebe streiten, bedeutet, sich auf den anderen zuzubewegen und versuchen zu verstehen, wie er zu seiner Positionen kommt, worum es ihr geht, welche Sorgen ihn antreibt. Wenn jeder sich in einem Streit so bewegt, dann entstehen auf einmal Spielräume, in denen es zwischen Harmoniesucht und dem großen Knall noch neue Entdeckungen, Dazulernen oder Kompromisse geben kann. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (1. Korinther 16,14).
Pfarrerin Saskia Lieske